martina braun
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WARUM IST FREUNDSCHAFTEN SCHLIESSEN IM ERWACHSENENALTER PLÖTZLICH SO SCHWIERIG?

Diese Frage begleitet mich nun schon beinahe mein gesamtes Erwachsenenleben. Je nachdem wie beschäftigt ich gerade bin, habe ich Phasen, in denen ich mich nach Freundschaften sehne und Phasen, wo ich ganz gut ohne klarkomme. Die Vorstellung, mich Jemandem nicht erklären zu müssen, so sein zu dürfen, wie ich wirklich bin, ohne dass ich mir wie bei einem permanenten Bewerbungsgespräch vorkomme, das ist für mich die Idealvorstellung einer Freundschaft. Im Besten Fall mit einer Person, die genauso durchgeknallt ist wie ich und mit der ich einen gepflegten Lachflash teilen kann, ohne mir dabei über meinen dämlichen Gesichtsausdruck und die verschmierte Wimperntusche Gedanken machen zu müssen.

Doch solche Menschen sind zumindest nach meiner Erfahrung eher schwer zu finden und je älter wir werden, umso schwerer und umständlicher fühlt es sich an, solche Freundschaften aufzubauen. Aber warum ist das so? Sind wir nicht alle irgendwie auf der Suche nach Gleichgesinnten, denen wir uns ab und zu anvertrauen können oder einfach nur mal spontan einen Prosecco stürzen können? Wenn ja sollte das mit dem Freundschaft schliessen doch nicht so schwer sein, oder? Und warum ist uns das überhaupt so wichtig?

Wieviel Freundschaft braucht der Mensch?

Wir Menschen sind soziale Wesen und suchen das Gefühl, Teil von etwas Grösserem zu sein. Das kann uns durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe vermittelt werden. Der Wunsch nach sozialer Akzeptanz ist in jedem von uns verankert, natürlich in unterschiedlicher Intensität, doch wir alle suchen nach Anerkennung, Sicherheit und dem Gefühl, gebraucht zu werden. Und ganz früher waren die Überlebenschancen einfach größer, wenn wir Teil einer Herde waren.

Dieser Aspekt ist nun heutzutage wohl eher zweite Priorität, denn in unseren Breitengraden muss niemand mehr den täglichen Kampf mit gefährlichen Tieren fürchten oder sein Essen mühsam selbst im Wald sammeln. Im Gegensatz dazu haben aber unsere emotionalen und mentalen Bedürfnisse zugenommen, die durch eine Freundschaft erfüllt werden können. Unsere Welt ist auf eine neue Art zum Kampf geworden, der sich leichter führen lässt, wenn einem jemand zur Seite steht.

Vielleicht kennt jemand von euch den britischen Evolutionspsychologen Robin Dunbar, der sich ausgiebig mit dem Thema Freundschaft beschäftigt hat. Von Ihm stammt zum Beispiel die Dunbar-Zahl, die beschreibt, wie viele zwischenmenschliche Beziehungen wir in der Lage sind auf einem gewissen Niveau zu managen.

Das sieht im Detail so aus:

Deine Sippe – das persönliche Netzwerk

Die maximale Anzahl an sozialen Kontakten, die wir aufrechterhalten können, liegt bei 150. Wichtig zu wissen ist, dass es sich dabei um reale Kontakte handelt und nicht virtuelle Follower in den sozialen Medien. Wir schaffen es also mit 150 Menschen auf irgendeine Art und Weise vertrauter zu interagieren. Doch das ist nicht automatisch eine Freundschaft, sondern gilt eher als nähere Bekanntschaften. Wenn wir jemanden aus der Sippe treffen, erinnern wir uns an seinen Namen, wissen um sein soziales Umfeld und tauschen oberflächliche Nettigkeiten aus. That’s it!

Dein Clan – das nähere Netzwerk

Beim Clan handelt es sich um eine Gruppe von 50 Menschen, die du bereits als Freund*innen bezeichnen würdest. Bei den Menschen dieser Gruppe fühlst du dich schon sicher genug, um persönliche Details auszutauschen und du traust dich, deine emotionale Mauer um dich herum etwas einzureissen. Man verabredet sich ins Kino oder ins Theater und erzählt sich von den täglichen Struggles im Job und den nächsten Urlaubsplänen.

Deine guten Freund*innen – die Sympathiegruppe

Wir sind in der Lage 15 Menschen als Gruppe von guten Freund*innen gerecht zu werden. Das sind die Personen, mit denen wir einen Samstagabend beim ESC mit Bier und Chips verbringen können, ohne uns zu schämen. Diese Freund*innen rufen wir an, wenn wir Zuneigung suchen und viel wichtiger, wenn wir Hilfe brauchen.

Dein innerer Kreis – die Supportclique

Das sind deine „Magic 5“. Diese Personen sind deine persönliche Support-Gruppe, die Menschen, die dir zujubeln, wann immer es nötig ist. Mit diesen Herzensmenschen kannst du den ESC nicht nur kucken, sondern auch betrunken lauthals mitsingen, ohne dir irgendwelche Gedanken darüber machen zu müssen – zwischen euch passt kein Blatt! Ihr schwingt auf der gleichen Frequenz, eure Interessen und – sehr wichtig - eure Werte decken sich.

So und wenn‘s jetzt einigen von euch so geht wie mir, dann denkt ihr gerade, wie um Gottes willen, soll ich 150 Leute kennenlernen und 5 davon auch noch in meinen inneren Kreis bemühen? Keine Panik, die Zahlen zeigen jeweils das Maximum an Menschen, denen wir die nötige Aufmerksamkeit schenken können, die für die jeweilige Gruppe nötig ist. Es müssen auch nicht immer nur „Fremde“ Bestandteil dieses Umfelds sein, es können auch Familienmitglieder zu der einen oder anderen Gruppe gehören.

Bitte vergesst auch nicht, dass nicht jeder mit genau 15 guten Freund*innen oder den „Magic 5“ gesegnet ist, sehr oft sind es eher weniger. Das ist immer abhängig von deiner verfügbaren Energie und der Qualität deiner Freundschaften. Manchmal ist weniger mehr und das ist absolut ok!

Was brauchts für eine Freundschaft?

Könnt Ihr euch noch erinnern, wie Ihr als Kinder Freundschaften geschlossen habt? Nein? Ich auch nicht. Freundschaften waren nämlich plötzlich einfach da oder einfach wieder weg und die meisten von uns haben sich nicht permanent den Kopf darüber zerbrochen, ob wir jemals wieder einen Freund oder eine Freundin finden. Es gab fast keine Vorbehalte gegenüber anderen Menschen und neue Freundschaften ergaben sich dadurch von selbst.

Und dann wurden wir erwachsen. Wir wechselten die Schulen, gingen zur Uni, entwickelten unsere Persönlichkeiten und Komplexe und damit unsere Ängste. Vielleicht wurden wir bereits das eine oder andere Mal von Menschen enttäuscht und verletzt, wodurch wir nicht gerade freizügiger mit unserem Vertrauen geworden sind. Und hier wird’s dann schwierig, denn der Aufbau einer Freundschaft braucht zumindest ein kleiner bisschen an Vertrauen und Offenheit.

Damit eine Freundschaft zustande kommen kann, muss folgendes passieren:

  • freiwillig Zeit miteinander verbringen

Wichtig also ist die Freiwilligkeit. Du solltest die Zeit mit der anderen Person verbringen wollen und das muss auch auf Gegenseitigkeit beruhen, also ihr müsst das beide wollen. Das erklärt vielleicht auch, warum du und dein Bürokollege nie richtige Freunde werdet, denn dabei ist meist wenig Freiwilligkeit und vielleicht auch wenig Gegenseitigkeit involviert. Es braucht einen sogenannten Kontext-Shift mit der Person, also eine bewusste Entscheidung auch ausserhalb eines gegebenen Umfeldes Dinge zusammen erleben zu wollen. Ohne das geht’s nicht.

  • genügend Zeit miteinander verbringen

Tja und hier wird’s für uns Erwachsene schon schwierig. In einem Erwachsenenleben ist neben Job, Familie, Hobbies und mental breakdown per se schon ziemlich wenig Zeit übrig. Nach 40 - 60 Stunden gemeinsam verbrachter Zeit kann man von Gelegenheitsfreund*innen reden, dann entwickeln sich aus Bekanntschaften lockere Freundschaften.

Von der Sippe zum Clan, du erinnerst dich? Und jetzt rechne mal nach, wieviel Stunden das ergibt. Im Clan sind theoretisch bis zu 50 Personen. Puh, das summiert sich! Haben wir den Wunsch, jemanden noch näher in den inneren Kreis zu holen, braucht es sogar eine ganze Menge mehr an Stunden. Um das zu erreichen, müssen wir in über 200 gemeinsame Stunden investieren. Das ist eine ganze Menge und zeigt, dass der Aufbau von Freundschaften mit ziemlichen Bemühungen verbunden ist und seine Zeit braucht.

  • ähnliche Vorlieben, Werte und Ansichten haben

Freundschaft kann entstehen, wo gleich und gleich aufeinandertrifft. Der Umgang mit Menschen, mit denen wir lachen, weinen und politisieren können, fällt uns von Anfang an leichter und gibt uns Sicherheit. Man teilt Gedanken und Erlebnisse, muss sich nicht verstecken und wir trauen uns eher, unsere verletzliche Seite zu zeigen. Das Beste an einer Freundschaft ist doch, nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen zu müssen und zu wissen, dass man nicht verurteilt wird. Und was ist schöner als mit jemandem seine Begeisterung fürs Hobby Horsing zu teilen.

Freundschaften und das Alter!

Es ist keine Seltenheit, dass der Freundeskreis im Alter kleiner wird. Unsere Prioritäten ändern sich, wir gründen eine Familie, wechseln den Job und ziehen in eine neue Stadt. Um eine bestehende Freundschaft durch diese Veränderungen zu erhalten, braucht es beiderseitig ziemliche Bemühungen, welche leider den Erhalt der Freundschaft nicht immer garantieren. Ausserdem werden wir bei vielem selektiver, so auch unseren zwischenmenschlichen Beziehungen und legen eher mehr Wert auf Qualität als Quantität, denn uns wird wichtiger, dass Beziehungen glücklich machen.

Unsere Erwartungen an eine Erwachsenen-Freundschaft sind anders als im jugendlichen Alter. Wir suchen tiefere und sinnhafte Gespräche und unsere Überzeugungen müssen viel eher übereinstimmen als früher. Unsere Kompromissbereitschaft wird grundsätzlich kleiner, so auch bei unseren Freundschaften. Vielleicht ist es auch ein bisschen unsere neu entwickelte Sturheit oder das neue Bewusstsein für unsere Bedürfnisse, dass uns vorsichtiger und kritischer in Bezug auf Andere werden lässt. Unsere freie Zeit ist schlicht zu kostbar, um sie mit halbherzigen Begegnungen zu verbringen. Und auch das ist völlig ok!

Tatsache ist, dass reale Freundschaften für Erwachsene nicht weniger wichtig sind als im jungen Alter. Darum sollten wir dieses Thema nicht vernachlässigen und sollten offen für neue Begegnungen bleiben.

Na und wie schliesse ich jetzt neue Freundschaften?

Versuchs mal Folgendes:

  • Nimm die Sache locker!

Wir haben gelernt, dass Freundschaften nicht von selbst entstehen, egal in welchem Alter. Wir tun uns als Erwachsene einfach schwerer, denn wir versuchen den Entstehungsprozess einer Freundschaft zu beschleunigen und machen uns tausend Gedanken darüber, was dabei alles schief gehen könnte. Und ich weiss, auch für mich gibt’s nichts Schlimmeres als die Vorstellung mich vor anderen lächerlich zu machen. Ich hasse das und trotzdem ist es mir schon tausendmal passiert. Tja und jetzt rate mal, ich hab‘s jedes Mal überlebt. Also geh es langsam an und gib der Sache seine Zeit. Etwas zu erzwingen bringt dich hier nicht weiter und macht dich nur unsympathisch.

  • Achte auf den ersten Eindruck!

Damit meine ich nicht, dass dein erster Eindruck so perfekt wie möglich sein sollte, sondern beobachte die Stimmung bei neuen Begegnungen oder die Schwingungen bei bestehenden Bekannten. Fühlst du dich während des Gespräches wohl, habt ihr Gemeinsamkeiten und könnt Ihr auf Anhieb zusammen lachen?

Sympathie ist unverzichtbar, um überhaupt in die Sippe zu gelangen und vor allem für den weiteren Weg in die "Magic 5". Man merkt meist in den ersten Minuten, ob das gegenüber sympathisch ist, doch manchmal brauchts auch eine zweite Chance.

Und nicht vergessen, wir können nicht jeden mögen. Es ist völlig ok, wenn es keine oder nur eine einseitige Resonanz gibt. Dann darf man das zur Kenntnis nehmen und sich höflich zurückziehen.

  • Spielst du deine eigene Rolle?

Wir haben die Fähigkeit, je nach Zusammensetzung des Umfeldes und auch abhängig von der eigenen Stimmungslage, unterschiedliche Rollen von uns zu geben. Dann zeigen wir nur ausgewählte Facetten von uns, lachen leiser als sonst, reden umständlicher oder nehmen eine andere Körperhaltung ein. Wenn du mit deinen Freund*innen zusammen bist, sollte das kein Thema sein.

Drum stell dir die Frage: zeigst du dein richtiges Du, wenn du mit der anderen Person zusammen bist?

Sich so zu geben, wie man ist, setzt ein gewisses Vertrauensverhältnis voraus, jedoch das bedeutet nicht, dass du von Anfang an jede chaotische Facette von dir ausleben solltest, denn das könnte die Entwicklung der Freundschaft nachhaltig beeinträchtigen. Doch vertraust du deinem Gegenüber genug, dass du dich im Laufe der Zeit immer mehr zeigen kannst? Eine zwischenmenschliche Beziehung kann nur funktionieren, wenn du dich dabei wohl fühlst.

  • Kreiert eure gemeinsame Vergangenheit!

Nichts ist schöner, als gemeinsam etwas zu erleben und sich gemeinsam daran erinnern zu können. Geht zu Konzerten, ins Theater, macht Sport zusammen oder besucht einen Kochkurs. Egal was, gemeinsame Aktivitäten schweissen zusammen.

Am besten schafft ihr euch eine gemeinsame Routine, dann ist das Thema mit der Freiwilligkeit und den investierten Stunden auch schon erledigt.

  • Einfach mal machen!

Ja ich weiss, evil eye rolling! Was für'n blöder Tipp und auch für mich jedes Mal echt schwierig. Doch hier kannst du an dir arbeiten und wirklich einen Unterschied kreieren.  Meine Kompetenz in Bezug aufs Kontakte knüpfen könnte man als dürftig bezeichnen und Situationen in einem unbekannten sozialen Umfeld konfrontieren mich jedes Mal wieder mit meinen Ängsten.

Ja, es sind gleich mehrere und ich habe mir irgendwann die Mühe gemacht diese zu erarbeiten und zu verstehen. Das hat das Kontakteknüpfen nicht einfacher gemacht, aber ich weiss jetzt wenigstens, wie ich mit den Ängsten umgehen kann und was es damit auf sich hat. Schreib deine Gedanken und Gefühle in Bezug auf das Kontakte knüpfen auf und geh wirklich in die Tiefe, um herauszufinden, was dich abhält. Nur wenn du dir deiner Angst bewusst bist, kannst du auch etwas daran ändern.

Vor ein paar Jahren hatte ich tatsächlich einen Mutanfall und habe mich bei einer App registriert, bei der man Bekanntschaften bei unverbindlichen Freizeitaktivitäten schliessen kann. Nach der Teilnahme bei einer solchen Veranstaltung ist tatsächlich die Freundschaft mit zwei Frauen entstanden, die ich sehr bereichernd finde. Ich bin zwar vorher tausendmal gestorben, doch es hat sich gelohnt!

Manchmal schaffen wir es nicht allein, unsere Beweggründe zu hinterfragen und unsere Muster zu ergründen, geschweige denn, diese nachhaltig zu verändern.

Dann ist es sehr bereichernd, sich Unterstützung zu holen.

Bist du bereit gehört zu werden? Dann lass und reden!

Was sind deine Erfahrungen mit Freundschaften schliessen? Hast du Fragen oder Anmerkungen? Dann schreib mir deine Geschichte in den Kommentaren oder per Mail unter kontakt@martinabraun.ch

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