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Ja, unbedingt!
martina braun
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WARUM ICH MEINEN KÖRPER AUCH MAL SCHEISSE FINDEN DARF…

Gewagte Aussage, oder? Irritiert dich das Statement oder hörst du gerade ein leises „Ja genau!“ in deinem Kopf? Ob so oder so, bleib dran und finde heraus, warum der Satz eine wirklich befreiende Wirkung haben kann und wie auch du soweit kommen kannst.

Ich sitze vor einem Karton voller Bilder aus meiner Vergangenheit. Genau die Art von Karton, die es wahrscheinlich in jedem Haushalt in irgendeiner Form gibt, voll mit alten Erinnerungen in gedruckter Form. Der Anlass dafür ist eine Aufgabe meiner Therapeutin, bei der ich mich mit verschiedensten Aspekten meiner Vergangenheit auseinandersetzen soll und da hilft mir am besten als das Eintauchen in alte Erinnerungen.

Also wälze ich zahlreichen Bilder und springe zurück in fast vergessene Ereignisse - Geburtstagsfeiern meiner Schulzeit, wilde Partys mit lauter Musik in unserem Jugendzentrum, Tanzkurs - Abschlussball, Abiturfeier, Szenen aus dem Studium und diverse Firmenfeste. Beim Schwelgen in Erinnerungen fällt mir auf, dass die Bilder immer wieder ein anderes Ich zeigen. Mein optisches Erscheinungsbild hat sich in den letzten 42 Jahren immer wieder verändert. Frisur, Körperfülle oder Kleidungstil, ich habe viel ausprobiert und vieles wieder aufgegeben. Doch mir fällt auf, dass alle Bilder eines gemein haben, nämlich das Gefühl, mich in keiner Lebensphase in meinem Körper richtig wohlgefühlt zu haben. Zu jeder Zeit fand ich etwas an mir, dass ich nicht mochte und bekämpfte.

DIE MÄCHTIGE VIELZAHL AN MEINUNGEN?

Heutzutage kann es schnell passieren, dass man wie ein Spielball zwischen den verschiedenen Bewegungen des Körperbewusstseins hin und her geschubst wird. Mit jedem Blick in die sozialen Medien werden wir überschwemmt mit Statements zu Body-Positivity, Body-Neutrality, Intuitivem Essen, „What I eat in a day“ Videos und Tipps von Fitnessgurus, um unserem Bauchfett an den Kragen zu gehen. Eigentlich ist jedem von uns bewusst, dass diese Trends davon leben, uns unsere Aufmerksamkeit und Likes zu stehlen, doch insgeheim hoffen wir alle darauf, endlich das Mittel zu finden, dass unsere ewige Unzufriedenheit auf mühelose Art und Weise verschwinden lässt. Und so fand jede diese Bewegungen zu einem bestimmten Zeitpunkt auch in meinem Leben Gehör und bekam eine temporäre Daseinsberechtigung.

Also stand ich in meinem Schlafzimmer nackt vor dem Spiegel und hab versucht meinen Körper bedingungslos zu lieben. Doch was ist passiert? Ich fühlte mich gestresst und unter Druck gesetzt! Nach jahrelangem Hadern mit meinem Körper sollte ich ihm plötzlich bedingungslose Liebe und Akzeptanz entgegenzubringen? Chancenlos! Den wohltuenden Grundsatz der Body-Positivity Bewegung konnte ich nicht für mich gelten lassen. Dass das Bewerten und Diskriminieren von Körpern in jeglicher Art unangebracht ist und alle Körper wertvoll und schön sind, wie sie sind, kann ich für alle gelten lassen, nur nicht für mich. Ich inspizierte mich und fragte mich, warum die anderen das Hinkriegen nur ich nicht. Ich fühlte mich aus der Body -Positivity - Community buchstäblich ausgegrenzt.

Als nächstes versuchte ich meinen Körper als gegeben anzunehmen, so wie er ist, ohne ihm dabei gesteigerte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Doch wenn man bedenkt, wie wichtig das Aussehen im gesellschaftlichen Zusammenhang nun einmal immer noch ist, wird das eine schier unlösbare Aufgabe. Fühl dich doch mal body-neutral, wenn du in einem Klamottenladen vergeblich nach der geilen Bluse suchst, die die Schaufensterpuppe mit dem unrealistischen Körperbau in Grösse XXS zur Schau stellt, nur eben halt in Grösse 42. Und auf Nachfrage beim Store Manager bekommst du zu hören, dass es die Philosophie des Ladens ist, alle Kleider nur bis Grösse 38 auszustellen und die grösseren Grössen nur auf Nachfrage rauszugeben. Da bekommt Body-Neutrality doch ziemlich schnell einen faden Beigeschmack und man hat den Eindruck, dieses Konzept gilt nur für die unter uns, die nicht durch die Beauty-Schablone unserer Gesellschaft passen. Also erwies sich auch dieses Konzept bei mir als chancenlos, ich wollte zwar unbedingt dazugehören, meine Bemühungen reichten aber nicht aus. Wieder hatte ich das Gefühl etwas nicht auf die Reihe zu kriegen, was sich doch eigentlich so einfach anhört.

Die Ausflüge in die Fitnesswelt waren die für mich logische Konsequenz daraus. Über Wochen und manchmal sogar Monaten quälte ich mich ins Fitnessstudio, peitschte mich durch HIT-Intervalle und motivierte mich am Sonntagmorgen um 7 Uhr in die Joggingschuhe. Für eine gewisse Zeit ging das auch immer gut, doch irgendwann war keine Kraft mehr da fürs Motivieren. Das Ganze schlug manchmal sogar um in Selbstvorwürfe und ich hatte eine ziemlich schlechte Meinung von mir und meiner Disziplin. Ich fühlte mich wie ein schwaches Würstchen, dem die Tür zum Club der Schönen und Fitten vor der Nase zugeschlagen wurde.

Und dann kam noch das Thema des intuitiven Essens. Das Konzept erschien mir wie die Lösung für alle meine Kämpfe. Hör auf deinen Körper und lerne wieder bewusst zu essen. Doch für mich hatte dieser Plan mehr mit Disziplin zu tun als ich erwartet hatte, denn man muss mit der plötzlichen Freiheit umgehen lernen, alles essen zu dürfen auf was man Lust hat. Ich hatte wirklich Schwierigkeiten damit, meinem Gehirn klarzumachen, dass nur ein einzelnes Toffifee die gleichen Glücksgefühle auslöst wie die komplette Packung. Und ja, ich habe mich in dieser Zeit sehr mit meinen Emotionen bezogen aufs Essen auseinandergesetzt und dadurch viel über meine Beweggründe gelernt. Leider hinterliess es keine nachhaltigen Veränderungen bei meinem Essverhalten. Ich verstand zwar meinen Körper und meine Gedanken besser, doch meinen Frieden fand ich immer noch nicht.

UND WAS BLEIBT FÜR MICH?

Wenn man älter wird, kommen zum Thema Körperfülle dann noch eine ganze Reihe anderer körperlicher Themen dazu. Da beschäftigt man sich mit Aspekten wie jung oder alt, straff oder faltig, behaart oder glatt, muskulös oder mager. Und bei jedem dieser Aspekte bekommt man das Gefühl, sich für eines der Lager entscheiden zu müssen. Doch der Weg zu dieser Entscheidung ist ein Spiessrutenlauf, denn es gibt dabei zahlreiche gesellschaftliche Regeln zu beachten. Ist euch schon aufgefallen, dass man dabei fast keine Chance hat sich nicht Irgendjemanden zum Feind zu machen? Für jeden Aspekt gibt es plötzlich selbsternannte Experten, die sich ungefragt einmischen und dich missionieren wollen.

All das hat mich in den letzten Jahren ziemlich beschäftigt. Mit jedem neuen Konzept hatte ich die Hoffnung, endlich die positive Einstellung zu meinem Körper zu finden und war jedes Mal wieder enttäuscht, wenn es nicht funktionierte. Mein ständiger Begleiter dabei: die Packung Toffifee und jede Menge neuer und alter Selbstzweifel.

Tja und wie sieht‘s inzwischen aus? Ich kann euch nicht berichten, dass es den einen Moment der Erleuchtung für mich gab, seitdem ich zu mir selbst stehe, egal was passiert. Doch ich kann sagen, dass irgendwann der Moment kam, wo ich keine Lust mehr darauf hatte, mich zu verstellen um auf Teufel komm raus in irgendwelche Konzepte zu passen. Ich entschied mich dafür, dass es für mich absolut ok ist mit meinem Körper nicht immer im Reinen zu sein. Alles andere ist mir nämlich viel zu anstrengend!

Ich führe immer noch meinen Kampf mit meinem Äusseren, doch ich will diesen Kampf nicht mehr verstecken. Es gibt Zeiten, in denen ich mich jeden Morgen auf die Waage stelle, nur um festzustellen, dass es immer noch genauso viel Kilo sind wie am Tag vorher. Ich erledige regelmässig meine Sporteinheiten, denn Bewegung ist unabdingbar egal in welchem Alter – und ich hasse es! Ab und zu starte ich auch immer wieder mal einen Versuch, so ein Bleib Dran - Vollmotivationsprogramm durchzuziehen und verurteile mich dann kurz dafür, wenn das mit dem Dranbleiben halt auch wieder nur zwei Wochen anhält. Doch das ist ok. Genauso ok wie die Tatsache, dass ich an den meisten Tagen meine Kalorien zähle, um nicht unkontrolliert alles in mich reinzustopfen. Sollte es dann doch mal Ausnahmen geben, ist es so! Ich ärgere mich kurz, schlepp mich aufs Laufband und geh anschliessend Salat kaufen.

Ach ja, und wenn ich mich demnächst nicht mehr mit meinen Krähenfüssen arrangieren kann, wende ich mich vertrauensvoll an meine Kosmetikerin, um mir alles über die Möglichkeiten mit Botox und Hyaluron erzählen zu lassen.

Jetzt zurück zum Statement vom Anfang des Artikels, warum ich meinen Körper auch mal Scheisse finden darf. Ganz einfach: weil es Deiner ist! Und es ist deine Entscheidung! Deine Entscheidung, dich nicht mit Bestehendem arrangieren zu müssen, deine Entscheidung, den Kampf mit dir austragen zu dürfen und das jeden Tag aufs Neue, wenn es sein muss. Deine Entscheidung, deinen Körper auch mal Scheisse finden zu dürfen und nichts unter dem Deckmantel der gesellschaftlichen Auffassung schön reden zu müssen.

DER WEG ZU MEINER ÜBERZEUGUNG

Doch auch das geht nicht einfach so und braucht einiges an Mut, um sich von eigenen und fremden Erwartungshaltungen zu befreien. Ich weiss, dass ich nicht die Einzige bin, die diesen Kampf mit sich austrägt, daher hier ein paar Anregungen, um dir den Weg zu erleichtern:

  • Mach es deutlich!

Mach dir mal bewusst, was du so den lieben langen Tag über dich denkst. Schreib auf, was du von deinem Körper hältst, wie du glaubst mit ihm umgehen zu müssen, wie du ihn gerne hättest und was du glaubst, dafür tun zu müssen. Überlege auch ob das tatsächlich deine eigenen Gedanken sind. Denn nur wenn wir unsere Gedanken kennen, können wir sie ändern. Schaffe Fakten und hole dir das dumpfe und unfassbare Gefühl in die Realität und wichtig: nimm es an. Drück die Erkenntnisse nicht weg, sondern gewöhn dich an sie. Erarbeite dir Strategien, um mit diesen Gefühlen umgehen zu können, denn Meckern gilt nicht!

  • Mach es öffentlich!

Verheimliche deine Einstellung nicht und zeige Haltung. Damit meine ich nicht, dass du deine Weisheiten laut in die Welt posaunen musst, doch wenn es in einem Gespräch mal wieder um das Thema Körperoptimierung geht, dann steh zu deiner Überzeugung. Lass dir nicht die Meinung anderer überstülpen, nur weil du die Diskussion scheust. Ein Vorteil dabei ist auch, dass du dich nicht nur vor anderen positionierst, sondern je öfter du es laut aussprichst umso mehr glaubst du dir selbst. Wie wäre es mit einer geplanten Offensive in Form einer „Komplex-Party“? Ein Shot auf jeden Komplex, den wir mit uns herumtragen und die sich mit denen unserer Kollegen decken.

  • Mach dich nackig...

...und zwar so oft wie möglich. Ob vor dem Spiegel, in der Sauna, beim FKK oder Sex, je öfter desto besser. Auch wenn es im Lachanfall endet, mit der Wiederholung verliert das Nacktsein an Schrecken und die Perfektion an Bedeutung. Und warum ist das so? Weil man dabei mit der Realität konfrontiert wird, die uns zeigt, dass wir meist viel zu streng mit uns sind und die meisten Menschen eh mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten beschäftigt sind. Und wenn es danach immer noch Botox braucht, dann ist es eben so!

  • Mach es realistisch!

Ja, wir müssen noch kurz übers Scheitern reden. Denn das spielt bei diesem Thema auch eine Rolle. Wir scheitern daran, die Kontinuität aufzubringen um unsere Ernährung umzustellen, die Sporteinheiten mit der nötigen Intensität durchzuziehen und - für mich persönlich viel schlimmer – wieder einmal vor mir selbst nicht bestanden zu haben. Das hat aber alles nichts mit unserem Körper zu tun, sondern mit der Auffassung von uns und anderen, wie der aussehen sollte und wie wir über ihn denken sollten. Scheitern begleitet uns durchs ganze Leben und die wenigstens haben gelernt, wie man damit umgeht. Wir alle scheitern und das Beste, was uns vor davor schützt, sind realistische Zielsetzungen und Wünsche. Also mach dir klar, ob das zwanghafte Liebhaben deines Körpers oder das tägliche Auspowern im Gym wirklich das ist, was du willst. Oder könntest du deine Energie für sinnvolleres einsetzen? Die Welt retten zum Beispiel?

Wichtiger Hinweis am Schluss: Es gibt Menschen, die der Glaube daran nicht schön genug zu sein regelrecht lähmt und ihr Leben sehr einschränkt. Das kann dazu führen, dass man das Haus nicht mehr verlassen will und depressive Stimmungen erfährt. Diese Störung nennt man Dysmorphophobie und sollte unbedingt therapeutisch begleitet werden.

Für alle anderen gilt, lass es zu, dass du dein Erscheinungsbild auch mal Scheisse findest. Das ist völlig ok! Und lass dich am besten bei dem Thema begleiten, denn allein fallen wir nur zu oft zurück in alte Muster!

Erzähl mir deine Geschichte! Ich freue mich mit dir zu arbeiten.

Wie ist deine Haltung zu deinem Körper? Hast du Fragen oder Anmerkungen? Dann schreib mir deine Geschichte in den Kommentaren oder per Mail unter kontakt@martinabraun.ch

Ich freu mich auf dich!

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